Langsam atmen? Dabei soll doch eigentlich am Liebsten alles schnell gehen!? Der Stress ist allgegenwärtig. Ob Zeitdruck im Job, private Verpflichtungen oder die ständige Reizüberflutung – unser Nervensystem wird oft in den Kampf-oder-Flucht-Modus katapultiert. Dein Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, und Deine Atmung wird flach und hastig. Diese Reaktion hat evolutionär einen guten Grund. Um in Gefahrensituationen schnell handeln zu können, ist die Aktivierung durch schnelle Atmung sinnvoll. Heute jedoch werden wir von Dingen gestresst, die weder Kampf noch Flucht erfordern. Die körperliche Reaktion und damit der Abbau der Stresshormone bleibt aus, wir verharren dauerhaft im Stressmodus und merken gar nicht mehr, dass wir angespannt sind.
Doch es gibt eine einfache, effektive Möglichkeit einen solchen Stresszyklus zu durchbrechen: Dein Atem. Genauer gesagt: bewusst, langsam zu atmen. In diesem Artikel erfährst Du, warum diese Technik so wirkungsvoll ist und Du langsames Atmen unbedingt in Deinen Alltag integrieren solltest.
Langsam atmen als Schlüssel zur inneren Balance
Langsam zu atmen ist weit mehr als eine Entspannungstechnik. Es ist eine physiologische Wunderwaffe, die Deinem Körper signalisiert: Alles ist gut. Durch bewusstes Reduzieren Deiner Atemfrequenz aktivierst Du den Parasympathikus, den Teil Deines Nervensystems, der für Regeneration und Entspannung verantwortlich ist. Das bringt zahlreiche Vorteile mit sich, denn langsames, bewusstes Atmen verändert Deine Körperfunktionen auf tiefgreifende Weise.
1. Aktivierung des Parasympathikus – Der Körper schaltet in den Ruhemodus
Kontrolliertes, langsames Atmen aktiviert den Parasympathikus, den Teil des autonomen Nervensystems, der für Entspannung, Regeneration und Verdauung zuständig ist. Dies hat folgende Auswirkungen:
Die Herzfrequenz sinkt
Deine Herzfrequenz passt sich an das langsame Atmen an. Das Herz schlägt ruhiger und gleichmäßiger, was zu einem Gefühl von innerer Ruhe führt.
Der Blutdruck wird gesenkt
Langsames Atmen hilft, den Blutdruck zu regulieren, da die Gefäße entspannen. Das Risiko von stressbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann dadurch gesenkt werden.
Stresshormone wie Cortisol sinken
Wenn wir langsam atmen fährt der Körper die Produktion von Cortisol (dem Hauptstresshormon) herunter. Gleichzeitig werden beruhigende Botenstoffe wie Acetylcholin freigesetzt, die für Entspannung sorgen.

2. Erhöhung der CO₂-Toleranz – Langsam atmen, mehr Sauerstoff

Viele Menschen atmen zu schnell und zu flach, was dazu führt, dass sie zu viel Kohlendioxid (CO₂) ausatmen. CO₂ ist jedoch essenziell für die Sauerstoffversorgung der Zellen. Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Bohr-Effekt: Erst durch einen ausreichend hohen CO₂-Spiegel kann Sauerstoff optimal in die Zellen transportiert werden. Das bedeutet: Wer zu schnell atmet, verliert zu viel CO₂, was die Sauerstoffaufnahme in den Zellen erschwert und langfristig die Leistungsfähigkeit senkt.
Langsam zu atmen hat einen starken Einfluss auf den CO₂-Spiegel im Blut, der eine entscheidende Rolle für Deine Gesundheit und Leistungsfähigkeit spielt. Der Zusammenhang zwischen Atemtempo, CO₂ und dem parasympathischen Nervensystem wurde unter anderem durch die Arbeit von Dr. Konstantin Buteyko erforscht. Die daraus entstandene Buteyko-Methode ist eine Atemtechnik, die darauf abzielt, die Atemfrequenz zu reduzieren, um den CO₂-Gehalt im Blut bewusst zu erhöhen. Ursprünglich wurde die Methode entwickelt, um Asthma zu behandeln. Heute wird sie auch in anderen Bereichen eingesetzt, um Stress zu reduzieren, die Atmung zu optimieren und die Leistungsfähigkeit zu steigern.
- CO₂ reguliert den pH-Wert im Blut
Wenn wir langsam atmen, bleibt mehr CO₂ im Körper. Das hält den pH-Wert des Blutes stabil und sorgt dafür, dass Sauerstoff besser von den roten Blutkörperchen in die Zellen abgegeben wird (Bohr-Effekt). - Verbesserte Zellversorgung
Durch die erhöhte CO₂-Toleranz kann der Körper Sauerstoff effektiver nutzen. Das steigert die körperliche Leistungsfähigkeit und fördert die Regeneration.
3. Beruhigung des Gehirns – Weniger Grübeln, mehr Fokus
Langsam zu atmen wirkt direkt auf das Gehirn und beruhigt den präfrontalen Kortex – das Zentrum für Denken, Planen und Grübeln.
Verstärkte Verbindung zum präfrontalen Kortex
Langsames Atmen stärkt die Verbindung zu den Bereichen des Gehirns, die für Konzentration, Fokus und emotionale Regulation verantwortlich sind. Das hilft Dir, klarer zu denken und emotional stabiler zu bleiben.
Weniger Aktivität in der Amygdala
Die Amygdala ist der Teil des Gehirns, der für Angst und Stressreaktionen zuständig ist. Langsames Atmen reduziert die Aktivität der Amygdala, wodurch Du weniger ängstlich und gestresst bist.

4. Verbesserung der Herzratenvariabilität (HRV) – Ein Zeichen für Stressresilienz

Die Herzratenvariabilität (HRV) ist ein wichtiger Marker für Deine Stressresilienz. Sie misst, wie flexibel Dein Herz auf Veränderungen reagiert.
Langsam zu atmen erhöht die HRV
Eine hohe HRV zeigt, dass Dein Körper anpassungsfähig und resilient gegenüber Stress ist. Langsames Atmen verbessert die HRV, indem es den Herzschlag mit der Atmung synchronisiert (Respiratorische Sinusarrhythmie). Klingt kompliziert – aber funktioniert, auch wenn man die Fachbegriffe nicht kennt.
5. Verringerung von Entzündungen – Weniger Stress für den Körper
Langsames Atmen reduziert chronische Entzündungen, da es die Stressreaktion im Körper unterdrückt.
- Weniger oxidative Prozesse
Schnelles, flaches Atmen führt zu einem Ungleichgewicht in den oxidativen Prozessen, was Zellschäden und Entzündungen fördert. Langsames Atmen hält dieses Gleichgewicht stabil. - Reduzierung von Entzündungsmarkern
Studien zeigen, dass langsames Atmen die Produktion von entzündungsfördernden Stoffen wie Interleukin-6 (IL-6) senken kann, die mit chronischen Krankheiten in Verbindung stehen.
6. Förderung der Neuroplastizität – Das Gehirn verändert sich positiv
Langsam zu atmen kann die Struktur und Funktion des Gehirns verändern.
Die Neuroplastizität wird gefördert
Durch langsames Atmen werden neue neuronale Verbindungen geschaffen. Dies hilft, gesunde Gewohnheiten aufzubauen, negative Denkmuster zu durchbrechen und die emotionale Resilienz zu stärken.

Zusammengefasst: Was passiert wenn wir langsam atmen?
Wirkung | Was passiert im Körper? | Wofür ist das gut? |
Aktivierung des Parasympathikus | Herzfrequenz sinkt, Cortisolspiegel reduziert sich | Entspannung, Stressabbau |
Erhöhung der CO₂-Toleranz | Bessere Sauerstoffversorgung der Zellen | Mehr Energie, bessere Regeneration |
Beruhigung des Gehirns | Weniger Aktivität in der Amygdala | Weniger Ängste, mehr Fokus |
Verbesserung der HRV | Synchronisation von Atem und Herzschlag | Bessere Resilienz |
Verringerung von Entzündungen | Reduktion entzündungsfördernder Marker | Schutz vor chronischen Krankheiten |
Förderung der Neuroplastizität | Neue neuronale Verbindungen im Gehirn | Gesunde Gewohnheiten, emotionale Stärke |
Langsam zu atmen ist eine der effektivsten Methoden, um Körper und Geist zu regulieren. Es hilft Dir, in einen Ruhemodus zu wechseln, verbessert Deine körperliche Leistungsfähigkeit und macht Dich emotional resilienter gegenüber Stress. Es ist ein einfacher, aber unglaublich kraftvoller Weg, Deine Gesundheit und Leistungsfähigkeit langfristig zu verbessern.
Probiere es unbedingt mal aus. Vielleicht inspiriert Dich dieser Artikel mit meinen liebsten Atemübungen zur Aktivierung des Parasympathischen Nervensystems. Für individuelle Empfehlungen melde Dich gerne mit Deinen Fragen und Herausforderungen zu einem 1:1 Coaching bei mir.
Wie ist es bei Dir? Weißt Du überhaupt, ob Du schnell oder langsam atmest? Oder wirst Du darauf in den nächsten Tagen ganz bewusst achten?